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Eisenhaltige Lebensmittel biofortifizierte Kartoffeln 07 2019

Biofortifizierte Kartoffeln – Ende des weltweiten Hungers?

Im Dezember 2018 präsentierte der peruanische Agrarminister Gustavo Mostajo bei einer Feier einen Erfolg seines Ministeriums: INIA-328, eine Kartoffel. INIA-328, auch Kulli Papa genannt, ist eine purpurfarbene Knolle mit dem angeblich höchsten Eisen- und Zinkgehalt, der je in einer Kartoffel gemessen wurde. Wir wurden neugierig und wollten daraufhin mehr über den aktuellen Stand der internationalen Forschung zur Bioanreicherung (Biofortifikation im Fachjargon) von Kartoffeln wissen und haben uns mal beim Internationalen Kartoffelzentrum (Centro Internacional de la Papa, CIP) umgeschaut.

Was ist das CIP und was macht es?

Das International Potato Center, wie es auf Englisch heißt, wurde 1971 gegründet. Es hat seinen Sitz in der Nähe der peruanischen Hauptstadt Lima und darüber hinaus Vertretungen in 20 Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika. Das Zentrum entwickelt Kartoffelsorten, fungiert als genetische Kartoffel-Datenbank und ist Teil des internationalen Partnernetzwerks CGIAR (Consultative Group on International Agricultural Research; deutsch: Beratungsgruppe für internationale Agrarforschung), das durch Ernährungssicherung den weltweiten Hunger, insbesondere in ländlichen Regionen, eliminieren möchte. Eine biofortifizierte Kartoffel könnte dieses Vorhaben ein ganzes Stück näher ans Ziel führen, weswegen das CIP schon seit 2004 an der Biofortifikation der Kartoffel arbeitet.

Warum Biofortifikation? Über Hunger und Mangelernährung, von Eisen- und Zinkmangel

Hunger und Mangelernährung sind noch immer ein großes Problem. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization, FAO) leidet weltweit jeder neunte Mensch an Hunger – also 820 Millionen Menschen. Laut CIP leiden 1,6 Milliarden Menschen, vorwiegend Kleinkinder und Frauen im gebärfähigen Alter, unter Anämie (Fachbegriff für Eisenmangel oder Blutarmut) und Zinkmangel, Konsequenzen einer schlechten Ernährung. Hunger ist geografisch ungleich über die fünf Kontinente verteilt. Zur Veranschaulichung: Laut FAO stagniert in Europa und Nordamerika der Anteil der an Hunger leidenden Population zwischen 2005 und 2018 stetig unter dem niedrigsten Schwellenwert (< 2,5 Prozent). Laut CIP sind in den peruanischen Anden 41 Prozent der Kinder und 21 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter von Zink- und Eisenmangel (und somit von Hunger/Mangelernährung) betroffen, im Nachbarland Bolivien sogar 61 Prozent der Kinder und 35 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter. Die Mängel können zu verschiedenen gesundheitlichen Problemen, von Entwicklungsstörungen bis hin zum Tod, führen. Sie zu beseitigen steht daher im Fokus im Kampf gegen Hunger und Mangelernährung, ein Ziel, das durch Biofortifikation erreicht werden soll.

Was ist Biofortifikation?

Biofortifikation, auch Bioanreicherung, ist der wissenschaftliche Begriff für die Anreicherung von Mikronährstoffen in Pflanzen durch Züchtung. In der Vergangenheit wurden laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) Reis, Hirse und Kidneybohnen biofortifiziert und in den Bevölkerungen der Philippinen, in Indien und in Ruanda eingesetzt, wo der Eisenmangel im Anschluss rückläufig war.

Warum Biofortifikation der Kartoffel?

Viele Gründe machen die Kartoffel zum nahe liegenden Kandidaten für die Biofortifikation:

  • Wer Hunger bekämpfen möchte, ist gut beraten ein Lebensmittel anzureichern, dass bekannt, anerkannt, akzeptiert und beliebt ist. Die Kartoffel erfüllt alle diese Anforderungen. Sie ist auf allen Kontinenten und in allen Kulturen und Ländern der Welt ein etabliertes Grundnahrungsmittel, das für seine Vielseitigkeit geschätzt und daher häufig angebaut und gegessen wird. Der regionale Anbau garantiert, dass auch Menschen mit wenigen finanziellen Ressourcen sich Kartoffeln leisten können, ein entscheidender Vorsprung gegenüber anderen Eisenlieferanten wie dem teuren Rindfleisch. In den peruanischen Anden sind Kartoffeln ein Grundnahrungsmittel, mit einem pro Kopf Verbrauch von 200 g bis 600 g Kartoffeln pro Tag, so das CIP.
  • Kartoffelpflanzen benötigen wenig Wasser, haben eine kurze Reifezeit und können antizyklisch zu anderen Grundnahrungsmitteln, wie Weizen, angebaut und geerntet werden. Die Pflanzen wachsen auch unter schwierigen klimatischen Bedingungen, sind anpassungsfähig und haben selbst auf nährstoffarmen Böden gute Erträge.
  • Kartoffeln enthalten viel Vitamin C, ein Stoff der die Aufnahme von Eisen durch den Dünndarm begünstigt. Ärzte raten schon lange bei einer Anämie ein Glas Orangensaft zum Essen oder begleitend zu Eisentabletten zu trinken. Biofortifizierte Kartoffeln würden Eisen und Vitamin C in einem enthalten, ebenfalls ein großer Pluspunkt.

 

Forschen bis zum Durchbruch: 16 Jahre Labortests, Feedback und Feldversuche

Im Jahr 2004 begannen die Wissenschaftler ihr Vorhaben mit 200, in den Anden beheimateten, Kartoffelsorten (also Wildkartoffeln) mit einem vergleichsweise hohen Eisenwert. Wildkartoffeln sind diploid, sie haben nur einen zweifachen Chromosomensatz und sind – im Gegensatz zu den tetraploiden Sorten, die wir hierzulande vorwiegend kennen, einfacher miteinander zu kreuzen. Die Forscher kreuzten die Mutterknollen, bis 16 besonders erfolgversprechende Sorten übrig blieben. Sie enthielten zwischen 40 und 80 Prozent mehr Eisen als konventionelle Kartoffeln. Die Biofortifikation der Kartoffeln war zudem auf folgende Ziele ausgerichtet:

  • Die Pflanzen sollten auf dem Acker gut gedeihen und hohe Erträge aufweisen – es reichte also nicht, dass die Kartoffeln im Labor diese Anforderungen erfüllten. Sie mussten ebenfalls viren- und keimresistent sein und sich zudem gegen Konsequenzen des Klimawandels, wie Dürreperioden, behaupten können.
  • Wünschenswerte Nährstoffe wurden gefördert: Der Gehalt der den Antioxidantien zugehörigen Polyphenolen wurde erhöht.
  • Weniger wünschenswerte Stoffe, wie die auch in Hülsenfrüchten vorkommende Phytinsäure, wurden verringert. Zwar enthalten Kartoffeln ohnehin wenig Phytinsäure; sie hemmt jedoch die Aufnahme von Eisen durch den Körper. Durch Biofortifikation wurde der Anteil Phytinsäure minimiert.

 

Nach der Theorie der Praxistest: Was ist Bioverfügbarkeit?

Bioverfügbarkeit bezeichnet die Relation des Prozentsatzes eines Nährstoffs zum Anteil der vom Körper tatsächlich aufgenommenen Menge des Nährstoffs. Heißt: Hohe Eisen- oder Zinkwerte in Kartoffeln nützten nichts, wenn der menschliche Körper sie nicht aufnehmen kann. Und: Eine biofortifizierte Kartoffel muss eine hohe Bioverfügbarkeit haben, wenn sie ihr Ziel erreichen soll.

Die Biofortifikation, also die Reduzierung der Phytinsäure und die Anreicherung von Eisen, Zink und Polyphenolen in den Kartoffeln, maximierte zumindest theoretisch ihre Bioverfügkbarkeit. Bedeutet auch: das Projekt muss sich seiner größten Herausforderung, dem Praxistest, erst noch stellen. Die Bioverfügbarkeit eines Lebensmittels lässt sich nämlich nur in Feldversuchen bestätigen. Dazu müssen Menschen, idealerweise mit Anämie, sie essen. Im Anschluss an die Testphase muss in ihrem Blut höhere Eisen- und Zinkwerte nachweisbar sein, sonst ist das Projekt gescheitert.

Vom Labor auf den Acker, vom Acker auf den Tisch

Die Biofortifikation der Kartoffel geht aktuell also in die entscheidende Phase. Im Jahr 2017 wurden 116 Kartoffelknollen der internationalen Kartoffelforschung zur Verfügung gestellt. Im Folgejahr wurden 57 Kartoffeln nach Bhutan, Äthiopien und Ruanda für die Feldforschung verschickt, weitere 30 Mutterknollen wurden in Kooperation mit dem CGIAR in sieben peruanischen Provinzen gepflanzt. Das Ziel: Beobachten, ob sich die Knollen auf dem Acker bewähren und herausfinden, wie die Landwirte das Aussehen und den Geschmack der Kartoffeln bewerten. Denn: Eine Kartoffel, die sich im Labor und auf dem Acker bewährt hat, die nährstoffreich ist und alle sonstigen Ziele und Projektanforderungen erfüllt, die aber nicht schmeckt, nutzt niemandem!

Wird sich die biofortifizierte Kartoffel im Praxistest bewähren?

Derzeit werden bei einem Pilotversuch in Curgos im Norden von Peru, einer der ärmsten Regionen des Landes, die Kartoffeln in einer Blindstudie verkostet. Wie bei jeder wissenschaftlichen Blindstudie werden die Teilnehmer dabei in zwei Gruppen geteilt, von der eine die biofortifizierten Kartoffeln isst und die andere nicht, wobei keine der Gruppen weiß zu welcher Studiengruppe sie gehört. Die Studienteilnehmer geben zu Anfang und Ende der Studienphase Blutproben ab. Diese werden von einem unabhängigen Labor in Europa ausgewertet. Die Bioverfügbarkeit von Eisen und Zink wird in zwei separaten Testzeiträumen erforscht. Die Forscher am CIP und alle involvierten Parteien des Projekts auf der ganzen Welt hoffen natürlich, dass die Effektivität der biofortifizierten Kartoffel durch bessere Eisen- und Zinkwerte im Blut der Studienteilnehmer in den kommenden Monaten bestätigt werden kann.

Revolution der Essgewohnheiten durch biofortifizierte Kartoffeln?

Sollte alles nach Plan laufen und sich die Effektivität der biofortifizierten Kartoffel auch in der Praxis bewahrheiten, erwartet das CIP eine Markteinführung von bis zu fünf biofortifizierten Kartoffelsorten in zwei bis drei Jahren, also bis spätestens 2022. Mit ihren hohen Eisen- und Zinkwerten, ihrem hohen Vitamin C- und Polyphenolgehalt und dem niedrigen Anteil Phytinsäure wären die biofortifizierten Kartoffeln anderen Grundnahrungsmitteln wie Kidneybohnen, Mais, Reis und Weizen – auch den biofortifizierten Ausführungen – zumindest in der Theorie überlegen. Sie könnten bis zu 75 Prozent des täglichen Eisen- und Zinkbedarfs der armen Bevölkerung in den Anden decken und auch in anderen Regionen der Welt zu einem noch bedeutenderen Lebensmittel werden, das sogar anderen Grundnahrungsmitteln gegenüber bevorzugt wird.

Wer weiß, vielleicht revolutioniert die bescheidene Knolle aus den lateinamerikanischen Anden, dann einmal wieder die weltweiten Ernährungsgewohnheiten? Ob es dann 2030 in Italien an jeder Ecke Kartoffelrisotto und ob in Japan dann Kartoffelsushi zum Trendfood wird?

Wir sind gespannt und werden berichten!

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