Dr. Delphine van Inghelandt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team für Quantitative Genetik und Genomik der Pflanzen, einer Forschungsgruppe an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, die auch am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln aktiv ist. Dort forscht sie u. a. am PotatoTools-Projekt, das 2019 initiiert wurde und mit einer Förderung von 2,7 Millionen Euro vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft die Züchtung von Kartoffeln etwas vorhersehbarer gestalten und somit langfristig verbessern soll. Wir haben Delphine gefragt, wie sie Pflanzenforscherin geworden ist, wie ihr Arbeitsalltag aussieht und mit welchen Fragen sie sich im Zusammenhang mit PotatoTools beschäftigt.
Liebe Delphine, seit über vier Jahren arbeitest du im Team für Quantitative Genetik und Genomik der Pflanzen. Erzähl uns doch etwas über deinen Werdegang und wie es dazu kam, dass du dich beruflich, neben Mais und Gerste, mit Kartoffeln beschäftigst?
Bereits während meiner Schulzeit am Gymnasium in Frankreich habe mich für Genetik interessiert. Da ich gerne an der frischen Luft und mit Pflanzen arbeiten wollte, habe ich nach Abschluss der Classe preparatoire (Anmerkung der Redaktion: Vorbereitungskurse für die Universität nach dem Baccalaureat, dem französischen Abitur) entschieden, am Ecole Nationale Superieure d’Agronomie (deutsch: Hochschule für Agrarwissenschaften) mein Studium fortzuführen. In dieser Zeit habe ich den Beruf des Pflanzenzüchters kennengelernt, der alle Aspekte beinhaltete, die ich mir für meine berufliche Laufbahn wünschte: Genetik, Pflanzen und viel Zeit draußen an der frischen Luft!
Studienbegleitend habe ich mehrere Praktika absolviert, von denen zwei besonders wegweisend waren: Ein Aufenthalt in einem Forschungszentrum in Island und die Mitarbeit bei einer Pflanzenzüchtungsfirma in Südfrankreich. In beiden Phasen habe ich mich mit der Verbesserung pflanzlicher Eigenschaften beschäftigt. Danach war ich mir endgültig sicher, dass ich genau in diesem Bereich weiter arbeiten möchte. Also habe ich als Maiszüchterin bei einem Züchtungsunternehmen angefangen und erst in Frankreich und dann in Deutschland gearbeitet. Parallel habe ich am Institut für Pflanzenzüchtung, Saatgutforschung und Populationsgenetik an der Universität Hohenheim promoviert und später als Senior Maize Breeder gearbeitet.
Nach 16 Jahren in der Praxis wollte ich in die akademische Forschung zurückkehren und mich, neben Mais, mit anderen Spezies beschäftigen. Ich wollte auch gerne mein Wissen und meine Begeisterung für die Pflanzenzüchtung an Studierende weitergeben. Deshalb habe ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Quantitative Genetik und Genomik der Pflanzen der HHU angefangen. Es gibt viele Pflanzenforschungsinstitute in Deutschland, aber nur wenige davon beschäftigen sich mit Kartoffeln. Das wollte ich ändern. Da ich Kontakt mit Kartoffelzüchtern hatte und schon lange mit der Familie der Solanaceae arbeiten wollte, hat unser Institut gemeinsam mit seinen Industriepartnern ein Forschungsprojekt für Kartoffeln beantragt: PotatoTools.
Verrätst du uns etwas über die Inhalte, Ziele und Fortschritte von PotatoTools?
Kartoffeln werden für unterschiedliche Zwecke – zum Beispiel als Speisekartoffeln oder zur Gewinnung von Stärke – angebaut. Ziel der Züchtung ist jene Sorten zu entwickeln, die den besten Erfolg verspricht. Das ist unter den verschiedenen klimatischen Bedingungen in den geografisch sehr diversen Regionen der Welt, mit Blick auf die Herausforderungen von Schädlingen oder des Klimawandels nicht immer ganz einfach. Die Eigenschaften, welche die Züchter verbessern wollen, sind komplex und werden von mehreren Regionen im Genom kontrolliert. Der Verbesserungsprozess ist daher langsam.
Mittels molekularer Marker und neuer statistischer Methoden ist es möglich, den Selektionsgewinn für komplexe Merkmale pro Zeiteinheit zu erhöhen. Man nennt es genomische Selektion. Diese Vorgehensweise wird schon in anderen Kulturarten angewendet.
Hauptziel von PotatoTools ist die Entwicklung und Bereitstellung von genomischen Ressourcen und optimierten Züchtungsstrategien, die zum Einsatz genomischer Selektionsverfahren in Kartoffeln nötig sind. Am Ende wird es erstmals möglich sein, nicht nur einfache (monogen vererbte) Merkmale – wie einzelne Resistenzgene – , sondern auch komplexe (quantitativ vererbte) Merkmale – beispielsweise den Stärkeertrag – mit molekularen Methoden zu verbessern. Damit soll möglich werden, das genetische Potenzial zukünftiger Sorten unter Einbezug von tausenden im Erbgut verteilten molekularen Markern vorherzusagen.
Wie sehen dein Arbeitsplatz und dein Arbeitsalltag aus? Siehst du auch mal „echte“ Kartoffeln oder beschäftigst du dich eher mit reinen Daten? Gibt es Organisationen, Abteilungen, Kooperationspartner, Kollegen oder Mitarbeiter, die in deinem Tagesgeschäft eine besondere Rolle spielen?
Viel Zeit verbringe ich tatsächlich am Computer. Bei PotatoTools betreue ich zwei Aufgabebereiche: Zum einen die Anpassung der Modelle genomischer Selektionsverfahren anderer Kulturarten an die Besonderheiten der Kartoffel. Das heißt: viel Statistik. Und zum anderen bin ich für die Optimierung von Züchtungsprogrammen unter Einsatz genomischer Selektion zuständig. Vereinfacht ausgedrückt: Ich forsche, wie die Züchter diese neuen Verfahren am besten in ihre Züchtungsprogramme einbringen sollen. Das bedeutet: viele Simulationen! In diesem Zusammenhang betreue ich eine Doktorandin, die über PotatoTools finanziert wird.
Unser Institut arbeitet für das PotatoTools-Projekt mit drei Züchtungsunternehmen zusammen. Sie führen die Feldversuche mit Kartoffelklonen durch, denn sie sind dafür die Profis!
Versuchsfeld bei einem der Projektpartner vom PotatoTools-Projekt. / Quelle: Dr. Delphine Van Inghelandt, Heinrich-Heine-Universität.
Wir haben dennoch Kartoffelpflanzen hier am Institut: Wir kultivieren sie, um ihre DNA zu extrahieren.
Kartoffelpflanzen für die DNA-Extraktion / Quelle: Dr. Delphine Van Inghelandt, Heinrich-Heine-Universität.
Wir treffen uns zweimal im Jahr mit allen Projektpartnern. Die Treffen finden entweder bei uns oder bei den Züchtern statt. Und natürlich tauschen wir uns auch zwischen den Treffen viel aus: telefonisch, per E-Mail oder in Video-Konferenzen. Am Ende des Projekts sollen allgemein anwendbare Werkzeuge und Methoden entstanden sein.
Das Kartoffelprojekt ist aber auch nur einer meiner Arbeitsbereiche. Ich bin oft auf unseren Versuchsfeldern in Köln für Projekte im Bereich Mais und Gerste, betreue die Abschlussarbeiten von Studierenden in den Bachelor- und Masterstudiengängen, schreibe wissenschaftliche Publikationen und halte selbstverständlich auch Vorlesungen am Institut.
Wissen wir schon alles über die Kartoffel oder gibt es noch unbekannte Aspekte, an denen gezielt geforscht wird?
Es ist noch lange nicht alles erforscht!
Aufgrund verschiedener genetischer und biologischer Faktoren kann Solanum tuberosum, die Kartoffel, schwerer und langsamer durch klassische Züchtung verbessert werden als andere Kulturpflanzen. Dies liegt zum einen daran, dass die Kulturkartoffel tetraploid ist, ihr Erbgut also jeweils vier Chromosomensätze enthält. Zum Vergleich: Der Mensch ist diploid und besitzt einen doppelten Chromosomensatz. Man könnte also sagen, dass die Kartoffel genetisch komplexer ist als der Mensch.
Die vier Chromosomensätze bei der Kartoffel bedeuten also, dass an jedem Genort vier verschiedene Versionen, sogenannte Allele, vorliegen können. Dies macht es er Forschung erheblich schwieriger, die leistungsfähigste Kombination von Allelen zu erstellen. Schon rein mathematisch sind viel mehr Kombinationen möglich, als bei anderen wichtigen Kulturpflanzen, wie Mais, Weizen oder Gerste.
Außerdem haben Kartoffeln einen – im Gegensatz zu den anderen Kulturpflanzen – einen geringen Vermehrungskoeffizienten. Sie erwirtschaften also eine kleinere Anzahl von Knollen, die pro Pflanze geerntet werden können. Alle diese Faktoren verlangsamen den Züchtungsfortschritt. Ökonomisch interessante Merkmale können nämlich erst gegen Ende eines Züchtungszyklus erfasst werden – hier ist also auch etwas Geduld gefragt. Genau dazu tragen wir mit unserer Forschung bei: mit Hilfe molekularer Marker und genomischer Modelle werden die Züchter viel früher im Züchtungsprozess diese Merkmale selektieren können!
Um mittels genomischer Selektion gewünschte Eigenschaften erfolgreich aus den Kartoffeln zu selektieren, fehlen bislang wichtige genomische Ressourcen. So gibt es noch keine Referenzgenomsequenz der Kulturkartoffel. Auch gibt es keine Möglichkeiten, um unterschiedliche Genotypen (der Genotyp umfasst die gesamte genetische Ausstattung eines individuellen Lebewesens) von Kartoffeln im Hochdurchsatzverfahren mittels sogenannter SNP-Arrays zu charakterisieren. Ebenfalls ist noch unklar, wie der Ablauf von Kartoffelzüchtungsprogrammen verändert werden muss, um die Vorteile der genomischen Selektion optimal zu nutzen.
Alle diese offenen Fragen geht das PotatoTools Projekt an.
Kartoffelpflanzen für die DNA-Extraktion / Quelle: Dr. Delphine Van Inghelandt, Heinrich-Heine-Universität.
Welche Kompetenzen sind deiner Meinung nach insbesondere für junge Absolventinnen eines Masterstudiums wichtig, wenn sie erfolgreich Fuß in der Pflanzenforschung fassen möchten?
Die Absolventinnen sollten neugierig sein und sich für die Forschung begeistern können! Denn die Forschung ist ein immens großes und breites Feld, auf dem sich alles sehr schnell weiterentwickelt. Ein ausgeprägter Beobachtungssinn ist ebenfalls sehr wichtig und auch Genauigkeit. Liebe zu Pflanzen und für die Natur sind auch Voraussetzung. Und letztlich muss man als Pflanzenzüchter natürlich etwas für Genetik und Statistik übrighaben!
Dr. Delphine Van Inghelandt / Quelle: Britta Hoffmann, Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung.
Mit freundlicher Unterstützung